Doderer-Hausbesorgerin: Das „liebe Poldilein“ oder kurz die „Kress“

erschienen im Standard -Album am 18.12.2016

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Am 23. Dezember 1966 starb Heimito von Doderer im Wiener Rudolfinerhaus an den Komplikationen einer Darmoperation. Erinnerungen an seine Hausbesorgerin zum 50. Todestag des österreichischen Schriftstellers

Dass Leopoldine Engelbrecher nach dem Requiem in der Karmeliterkirche am 2. Jänner 1967 am offenen Grab Doderers auf dem Grinzinger Friedhof gestanden ist, kann vermutet werden. Sicher ist, dass Frau Kresswaritzky, wie die langjährige Hausbesorgerin und spätere Haushälterin des Autors der Dämonen mit ihrem Mädchennamen geheißen hatte, für das Leben des Schriftstellers große Bedeutung hatte.

„Poldi“, wie sie später von Heimito von Doderer immer wieder genannt wurde, erledigte für den anfangs erfolglosen und finanziell oft klammen Schriftsteller viele der Wege und Aufgaben, die für den hochmütigen Sohn aus einer Familie von Technikern zu beschwerlich oder zu schwierig waren. Als Doderer ein halbes Jahr nach dem „Anschluss“ am 2. September 1938 aus Bayern nach Wien zurückkehrte, war es Frau Kresswaritzky, die in Vertretung Doderers die polizeiliche Meldung in der Wohnung in der Buchfeldgasse 6, Tür 13 unterschrieb. In einem Brief an seine langjährige Verlobte Emmi Maria Thoma apostrophierte Doderer die Hausmeisterin als „Kress“ und kündigte an, dass diese eine Gans, die Maria ihm als Weihnachtsbraten geschickt hatte, für ihn braten werde – denn weder verfügte Doderer in seiner Wohnung über ein Backrohr, noch wäre er zur Zubereitung irgendeiner warmen Mahlzeit imstande gewesen.

Wenn der Hunger des Dichters zu groß wurde, versorgte ihn seine treue „Kress“ das eine oder andere Mal mit einem hausmeisterlichen Erdäpfelgulasch. Auch die Zusammenstellung und der Versand von frischer Unterwäsche an den aus der Gefangenschaft heimkehrenden Autor nach Weißenbach am Attersee, wo ein Teil der Familie wohnte, durch die Hausbesorgerin ist verbrieft. Wenig später bereitete sie auch die Wiener Wohnung für die endgültige Heimkehr Doderers vor. Am 21. Mai 1946 unterschrieb „die Poldi“ eine vom Autor auf dessen Schreibmaschine verfasste „Erklärung“, die dazu beitragen sollte, das aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft verhängte Publikationsverbot aufzuheben: „… doch habe ich bei Dr. Doderer jederzeit nur gerade das Gegenteil vom Nationalsozialistischen zu hören bekommen. Er hoffte, dass wir die Deutschen bald wieder loswerden … hier hat er jedenfalls der Ortsgruppe nicht angehört und nichts gezahlt, denn alle seine kleinen Zahlungen sind durch meine Hände gegangen, ich habe bei ihm bedient … Er ist auch immer in die Kirche gegangen.“ Selbst die Wutanfälle ihres Dienstherrn, die beispielsweise durch eine – zuvor von ihr montierte (!) – herabfallende Karnische, aber auch durch geringere Anlässe ausgelöst werden konnten, scheint das „liebe Poldilein“ erduldet zu haben (nur wenn er es allzu arg trieb, wies sie ihn in die Schranken: „Hörn S‘ auf, Herr Rittmeister, oda i lass Ihna in Gugelhupf führn“).

Als sich die finanzielle Lage Doderers in den 1950er-Jahren zu bessern begann, zeigte er seine Zufriedenheit mit dem Arbeitseifer der Hausmeisterin und -hälterin anlässlich der in seiner Abwesenheit von ihr organisierten und durchgeführten kompletten Übersiedlung seines Haushalts durch ein Trinkgeld in Höhe von tausend Schilling (ihr Gehalt betrug 600 Schilling). Sogar einen kurzen Urlaub im Haus seiner Ehefrau in Landshut spendierte Doderer seiner Hausbesorgerin einmal. Es kann angenommen werden, dass sich der Autor der Bedeutung der „Kress“ für sein Leben durchaus bewusst war.

Warum aber Heimito von Doderer in seinem Werk kaum eine Berufsgruppe so sehr verhöhnt hat, bleibt im Lichte der Aufopferung der Frau Kresswaritzky zunächst unerklärlich.

Im Lichte der Aufopferung

In der Strudelhofstiege werden anfangs Wiener Hausmeistern wie auch Chauffeuren und Kondukteuren, kurz jedem „kleine[n] Mann, der irgendeine Funktion ausübt“, „polizeiliche Verdachts-Instinkte und behördenartige Anwandlungen“ unterstellt. An anderer Stelle wird dieser – nicht gänzlich ungerechtfertigte – Verdacht präzisiert und die Gruppe der verdächtigen Personen erweitert: „Zunächst freilich die Hausmeister, als gewissermaßen ins Privatleben vorgeschobene Polizei-Organe, danach jedoch auch – neben Briefträgern, Kondukteuren, Gaskassierern – viele Specimina …“ Im Roman Die Dämonen wird den Hausmeistern zunächst attestiert, dass sie sich zur Sperrstunde gegen zusätzliche Bezahlung auch als rücksichtslose Helfer bei der Räumung von Lokalen dingen lassen. Mit dem Fortschreiten der Handlung wird der Ton gegen die Hausbesorger zunehmend beleidigender, ja, sie werden sogar als eine für Wien (und Paris) spezifische (minderwertige) Rasse bezeichnet.

Dieser Hinweis auf eine angebliche Parallele zwischen österreichischen und französischen Hausmeistern lässt sich aus der Biografie Doderers erklären: Als Doderer 1940 das befreundete Malerpaar Greta Freist und Gottfried Goebel in Paris besuchen wollte, es aber an seiner alten Adresse nicht antraf, halfen ihm einige Hausmeisterinnen, den neuen Wohnort der Freunde in Erfahrung zu bringen. Da diese Suche unklugerweise in der Uniform eines deutschen Wehrmachtsoffiziers vonstattengegangen war, bereiteten die befragten Hausmeisterinnen Freist und Goebel später erhebliche Schwierigkeiten.

Gegen Ende des Romans macht der Autor seine Leser mit dem Hausmeister Waschler bekannt. Dieser wird anlässlich der Schießereien beim Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 in „seinem“ Haus am Schmerlingplatz zum „Spiritus Rector“, zur „Amtsperson“, die mit „autoritativer Amtsmiene … den eigenen Autoritäts- und Herrschbereich“ überblickt. Die detailreichsten und respektlosesten Beschreibungen von Hausmeisterfamilien liefert Doderer jedoch im ersten Teil seiner unvollendet geblieben Romantetralogie. In Die Wasserfälle von Slunj verquickt Doderer seine Ressentiments gegen alles „Hausmeisterliche“ mit seiner Vorliebe für Amphibien, Drachen und anderes Getier. Die Familie Wewerka haust in der Adamsgasse – eine Adresse, die dem Obergymnasiasten Doderer durch eigene Besuche bei Prostituierten bekannt war, die dort Zimmer gemietet hatten – in „troglodytischer Enge“. Gekocht wird in einer nach Petroleum stinkenden „Sudelküche“. Der Vater wird als „gehausmeistertes und somit entehrtes … Knollengewächs“ verhöhnt, das „irgendwo versoffen herum[lehnte]“ und gelegentlich hinter den Hausparteien herschimpfte. Sie, die Wewerka, wird mit einem „aus der Hüfte hinkenden“ Drachen verglichen, dem eine „gespannte Beiß-Physiognomie“ eignet und der dank intuitiver Ahnungen und feiner Antennen in der Lage sei, im entscheidenden Moment „aus dem Loche“ zu fahren. Weiters sei die Frau Wewerka erstaunlicherweise fähig, sich selbst zu hausmeistern, wofür Doderer auch den lateinischen Terminus technicus liefert („conciergificatio sui ipsus“). Als die Wewerka für den Autor ihren Zweck erfüllt hat, wird sie „samt der Adamsgasse aus der Komposition hinausgeworfen“.

Lässt diese Formulierung darauf schließen, dass Doderer damit auch die Erinnerung an seine eigene, vermutlich an jener Adresse stattgefunden habende und selbst als unrühmlich empfundene Mannwerdung der Damnatio Memoriae anheimfallen lassen wollte? War eine Hausmeisterfamilie unfreiwillig Zeuge der Besuche des damaligen Freiers und nachmaligen Autors gewesen? Und wurde deshalb ein ganzer Berufsstand, der zu Doderers Lebzeiten bis zu 40.000 Menschen umfasste, verunglimpft? – Eingedenk des Umstands, dass einer seiner Zeitgenossen den Geburtsort seiner „in Schande“ geratenen Familie dem Erdboden gleichmachen und an seiner Stelle noch einen Truppenübungsplatz errichten ließ, immerhin eine denkbare Begründung für eine vergleichsweise lässliche Sünde. Die Poldi überlebte „ihren Rittmeister“ um 18 Jahre und verstarb 81-jährig am 21. Juni 1984. Sie wurde im Grab ihres bereits 1952 verstorbenen Mannes Adolf auf dem Friedhof Grinzing beigesetzt.

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