Leseprobe aus „Korvettenkapitän & Mundwäscherin“

Ministerium der Toten

In der Zeit zwischen 2008 und 2013 war in dem Verwaltungsgebäude am Stubenring, das ursprünglich das k. u. k. Kriegsministerium beheimatet hatte, das Lebensministerium (!) untergebracht. Seine Aufgaben umfassten Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Wie mir eine Mitarbeiterin des Ministeriums erzählt hat, gab es vor allem in der Kommunikation mit englischsprachigen Behörden („Ministry of Life“) häufig verbale und non-verbale Schrecksekunden, die mit der unausgesprochenen im Raum stehenden Frage nach einem in Österreich wohl auch denkbaren horribile dictu „Ministry of (the) Death“ verbunden waren.

Ein solches gedanklich ins Leben zu rufen, hat einen gleich mehrfachen Reiz: Man könnte erstmals frei von jeglichen Partei- oder Proporzzwängen vom Minister bis zum Amtsgehilfen eine Behörde der besten Köpfe etablieren. Die Minister, die diesem „Ministerium der anderen Seite“ vorstünden, genössen aufgrund der Tatsache, dass sie sich weder um ihre weitere politische oder wirtschaftliche Karriere noch um die Meinung des Boulevards kümmern müssten, uneingeschränkten Gestaltungsspielraum. Auf diese Weise könnten sie sich auf die Expertise ihrer Beamten verlassen und diese ungestört arbeiten lassen. Diese wiederum wären praktisch auf alle Ewigkeit oder zumindest auf Friedhofsdauer pragmatisiert und solcherart über jeden Zweifel der Beeinflussbarkeit erhaben. Eine solche Freiheit von (irdischen) Zwängen jeder Art ermöglichte synaptische Rösselsprünge ungeahnter Ausmaße und ließe selbst Überlegungen zu Themen wie „bedingungsloses Grundeinkommen“ und „Etablierung eines Lebensqualitätsindex anstelle des Bruttoinlandsproduktes“ zu.

Die Leitung unseres erdachten Ministeriums könnte beispielsweise ein Arbeitsminister innehaben, der wirklicher Geheimer Rat gewesen sein könnte und dessen Name Ritter von Ritt gelautet haben könnte. Ein anderer Kandidat wäre ein Bundesminister a. D., Nationalrat und Ministerialrat des Postsparkassenamtes.

Repräsentant der höchsten Beamtenebene wäre ein k. k. Generalchefauditor und Sektionschef im Reichskriegsministerium. Dieser wäre mit dem „labyrintischen Gängen“ des Gebäudes am Stubenring wohl auch bestens vertraut. Ihm zur Seite stünde der Bürochef d. Imp. C.G.A.

Der Kanzleidirektor wäre stets „mit Arbeit überhäuft“ und weckte dadurch Erinnerungen an Kafkas „Prozess“. Abhilfe wäre durch die Einstellung des Kanzlei Vice Direktors des Wiener Magistrates möglich.

Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung käme in unserer fiktiven Behörde naturgemäß der Einhaltung des geltenden Protokolls zu. Als Leiter des Protokoll-Referates eignete sich folglich ein jubilierter Protokollsdirektor des löblichen Magistrates der k. k. Haupt- und Residenzstadt. Eine seiner Aufgaben bestünde darin, die Ministersgattin bei offiziellen Anlässen in Fragen der Etikette und der Garderobe zu beraten.

Die Leitung der hausinternen Sicherheitsabteilung obläge dem Dicasterialgebäude-Inspector, dem k. u. k. Hofburg Inspector, der mehrere k. u. k. Hof Zimmeroberaufseher inspizierte, und dem Magistrats Vizeinspektor.

Eine der Arbeitsgruppen im Ministerium der Toten leitete der k. k. Staatsrat und Konzipist, der zwar Ähnlichkeiten mit Franz K. und Franz G. aufwiese, aber mit keinem der beiden verwandt oder verschwägert wäre.

Das Referat Finanzen würde vom k. k. Rechnungsdirektor, Vorstand des Rechnungsdepartments der k. k. Staatslotterien präsidiert, die Abteilung Äußere Revision vom Adjunkten der k. k. Staatsschulden-Direktion, der in altösterreichischer Tradition eine Zweitexistenz als Sekretär d. k. k. Gartenbau-Gesellschaft führte. Sein Stellvertreter titulierte als k. u. k. Oberrechnungsrat i. P. Der k. k. Finanzlandesdirektions Adjunkt a. D. wäre der Vertreter des Letztgenannten. Zu den Mitarbeitern gehörten der k. k. Rechnungs-Offizial der Münz- und Bergwesens-Hofbuchhaltung, der Ob. Rechnungsführer i. R., der Oberrevident i. R. und der Revident im Handelsministerium. Hoffnungslos überqualifiziert und ebenso unterbezahlt arbeitete in dieser Abteilung auch ein k. Beamter im Finanzministerium, Dr. d. Philosophie, Professor d. Experimental-Physik (gest. 1875!).

Die Leitung des Referates Kommunikation wäre zunächst vakant. Bis ein Pressesprecher gefunden wäre, würde es interimistisch vom Wirklichen Amtsrat der Telegrafen Direktion mit Unterstützung des Postinspektors im k. k. Handelsministerium geführt.

Da es in unserem Ministerium neben all den Häuptlingen auch Indianer brauchte, seien stellvertretend für die Heerscharen an kleinen Beamten die folgenden genannt: der Gremialbeamte und Professor an der Gremial-Handelsfachschule der Wiener Kaufmannschaft, der Militärbeamte und der Beamte der Austro-Amerikana (gest. 1918). Die Verbindung der Behörde zur Privatwirtschaft, der nur mindere Bedeutung beigemessen würde, läge in den Händen des Privat-Beamten. Als seine dem Ministerium vonseiten der Regierung zugeteilten Konterparts fungierten der Bundesbeamte und der gewesene Herrschaftsbeamte. Die Zuständigkeit des k. k. Amtsdieners im Min. f. Lv. bestünde im verlässlich organisierten und raschen Transport der Akten zwischen den Büros. Einer seiner Mitarbeiter könnte sich die Vordienstzeiten als Amtsdiener der k. k. privilegierten Boden Kreditanstalt anrechnen lassen.

Ein im Gegensatz zur herrschenden Realität ausreichend zu entlohnender und mit einer fixen Jobzusage auszustattender Trainée wäre mit dem ehemaligen k. k. Ministerial-Eleven auch bereits gefunden.

Denkt man die Möglichkeiten eines solchen Super-Ministeriums weiter, könnte es sogar Vorbild für die Aufwertung der EU-Kommission gegenüber den Partikularinteressen national gewählter Politiker des Europäischen Rates sein. Auf diese Weise könnte das Projekt der europäischen Einheit im Wege der Verösterreicherung vorangetrieben werden.